Die gute Nachricht: Bei der Erwerbstätigkeit schließen wir immer weiter zu den Männern auf. Die schlechte Nachricht: Beim Gehalt klafft noch immer eine Lücke – teilweise sogar eine deutliche.
Eigentlich sollte es im Jahr 2020 selbstverständlich sein, dass wir die gleichen Chancen haben wie Männer. Ist es aber leider nicht. Es mag ja Fortschritte geben, aber leider auch Stagnation und Defizite. Oder einfacher gesagt: Es wird besser, aber es ist noch nicht wirklich gut. So oder so ähnlich könnte man eine aktuelle Analyse der Hans-Böckler-Stiftung zusammenfassen.
Die Ergebnisse im Einzelnen: Unsere Erwerbstätigkeit ist weiter deutlich gestiegen. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Stiftung hat ermittelt, dass sie zuletzt bei 72 Prozent lag. Zum Vergleich: Knapp 80 Prozent der Männer arbeiten. Im Jahr 1991 war der Unterschied zwischen Männern und Frauen noch dreimal so hoch und hat stolze 26 Prozentpunkte betragen, so die Experten. Immer mehr von uns arbeiten also.
Teilzeit, Minijob und typisch weibliche Berufe
Das ist natürlich eine gute Nachricht, aber die Qualität der „Erwerbsintegration“ – und damit die Chance auf wirtschaftliche Unabhängigkeit – ist leider noch keine Erfolgsstory: Wir verdienen im Schnitt immer noch weniger. Um Familie und Erwerbsarbeit unter einen Hut zu bringen, arbeiten wir statistisch gesehen gut viermal so häufig in Teilzeit wie Männer. Das hinterlässt natürlich Spuren auf der Gehaltsabrechnung. Und: Von denjenigen, die ausschließlich einen Minijob haben, sind 62 Prozent weiblich. Noch einen gravierenden Unterschied gibt es: Bei Frauen macht die unbezahlte Arbeit beispielsweise in Familie und Haushalt den aktuellen Zahlen zufolge 45 Prozent ihrer Gesamtarbeitszeit aus. Bei Männern sind es nur 28 Prozent. Folglich liegt der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern – neudeutsch „Gender Pay Gap“ – laut Hans-Böckler-Stiftung immer noch bei 21 Prozent.
An der Bildung dürfte es kaum liegen: In der schulischen und beruflichen Qualifikation haben Frauen weitgehend mit den Männern gleichgezogen. Eine OECD-Studie aus dem vergangenen Herbst hat allerdings ergeben, dass Frauen vor allem dann schlechter bezahlt werden als Männer, wenn sie einen akademischen Abschluss haben. Verrückt, oder? Ein Studium lohnt sich für Männer also mehr als für Frauen. Immerhin stehen wir aber mit unserem Erwerbseinkommen gegenüber Männern hierzulande besser da als im EU-Durchschnitt. Europaweit verdienen vollzeitbeschäftigte Frauen je nach Bildungsabschluss zwischen 76 und 79 Prozent dessen, was Männer in vergleichbarer Tätigkeit bekommen. Das zeigt die OECD-Studie „Bildung auf einen Blick 2019“. In Deutschland kommen sie dagegen auf 74 bis 86 Prozent. Ein schwacher Trost, aber immerhin. Einen einsamen Spitzenwert von 93 Prozent am Männereinkommen erzielen Frauen, die älter als 55 sind und den niedrigsten Bildungsgrad haben, also eine nach der neunten oder zehnten Klasse abgeschlossene Schullaufbahn.
Wählen Männer also gut bezahlte Berufe, Frauen eher schlecht bezahlte? Auch dieses Vorurteil bestätigen die jüngsten Zahlen der WSI-Wissenschaftler. Wir arbeiten weiter überwiegend in den „typischen weiblichen Berufen“, etwa im Pflege- und Gesundheitsbereich. Und die werden eben meist schlechter bezahlt als technische Berufe, in denen Männer dominieren. Die Folge: Jede vierte weibliche Vollzeit-Beschäftigte verdient weniger als 2000 Euro brutto im Monat, bei den Männern seien es 14 Prozent.
Unzufrieden mit dem „größeren“ Gehalt
Apropos Gehalt: Wenn Frauen in der Beziehung beim Gehalt die Nase vorn haben, stört das nicht nur die Männer. Besserverdienende Frauen sind unzufriedener als solche, die am Monatsende weniger Lohn einfahren als ihr Partner. Das besagt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Leben wir in einer Partnerschaft, sind wir glücklicher in unserem Leben, wenn wir weniger verdienen als unser Mann. Sogar Frauen ohne eigenes Einkommen sind zufriedener als solche, die ihre männlichen Partner in Sachen Gehalt überflügeln. Eine wirkliche Erklärung haben die DIW-Experten dafür übrigens nicht. An unseren Männern nagt unsere üppigere Gehaltsabrechnung allerdings noch mehr. Sie sehen uns am liebsten als Zuverdienerin. Na, vielen Dank auch!
Wie dem auch sei: Dass das zu einer „gravierenden Lücke“ bei der Altersvorsorge führt, ist logisch. Bei gemeinsamer Betrachtung sowohl der gesetzlichen Rente als auch betrieblicher und privater Alterssicherung beziehen Frauen nach Angaben des WSI durchschnittlich ein um 53 Prozent niedrigeres Alterseinkommen als Männer. Anfang der 1990-er Jahre war diese Kluft sogar noch größer und lag bei 69 Prozent. Unser Rückstand wird also kleiner, aber er ist noch immer viel zu groß!
Jessica Schwarzer ist Autorin für das finanz-heldinnen Magazin und eine der renommiertesten Finanzjournalistinnen Deutschlands. Ihre Leidenschaft für die Börse hat die gebürtige Düsseldorferin zum Beruf gemacht. Die langjährige Chefkorrespondentin und Börsenexpertin des Handelsblatts (2008 bis 2018) arbeitet heute selbstständig als Journalistin und Moderatorin. Sie hat mehrere Bücher über die Psychologie von Anlegern und Investmentstrategien geschrieben. Die deutsche Aktienkultur ist ihr eine Herzensangelegenheit, für die sie sich auch mit Vorträgen und Seminaren stark macht. Darüber hinaus schreibt sie eine wöchentliche Kolumne bei onvista.de, einem der meistbesuchten Finanzportale in Deutschland.