Das Jahr 2022 dürfte das Jahr der Zinswende werden. Das heißt aber leider nicht, dass es wieder Sparzinsen gibt. Und für konservative Anleger:innen könnte es sogar etwas ungemütlicher werden. Jessica Schwarzer wirft im Beitrag einen Blick auf die Prognosen von Expert:innen.
Hohes Wachstum und explodierende Inflationsraten – läuft die Wirtschaft heiß? Werden oder müssen die Notenbanken gegensteuern? Wenn ja, dann würde das heißen, dass ihre ultralockere Geldpolitik restriktiver wird. Und genau das erwarten Expert:innen für das kommende Jahr.
Weniger Anleihekäufe…
Zwei Stellschrauben haben die Notenbanken, eine haben sie bereits „angezogen“ oder das zumindest angekündigt. Die US-Notenbank hat bereits eine Drosselung ihrer Anleihekäufe beschlossen. So konkret ist die Europäische Zentralbank (EZB) zwar noch nicht geworden, aber Expert:innen erwarten ebenfalls eine Reduzierung. Die EZB kaufte in 2021 für 1,1 Billionen Euro Anleihen, in diesem Jahr dürfte es nur noch ein Volumen von rund 500 Milliarden Euro sein. Mit diesen Anleihekäufen sollten die Wirtschaft und die Kapitalmärkte in der Krise gestützt werden, was auch ziemlich gut funktioniert hat. Doch nun soll die Phase grenzenloser Liquidität nach und nach enden.
…und höhere Zinsen
Stellschraube Nummer zwei sind die Zinsen. Schon in der Finanzkrise ab 2008 haben die weltweiten Notenbanken die Zinsen mehr oder weniger abgeschafft. Seitdem leben wir in einer Phase homöopathisch niedriger Zinsen, seit einiger Zeit sind es sogar Null- und Minuszinsen. Vor allem für Sparer:innen – und wir Deutschen sind bekanntlich ein Land von sehr fleißigen Sparer:innen – haben darunter gelitten. Für Unternehmen und auch Staaten bedeutete das aber, dass sie sich günstig und irgendwann fast zum Nulltarif refinanzieren konnten. Das billige Geld zeigte Wirkung. Nun wird diese Phase aber enden. Die US-Notenbank hat angekündigt, die Zinsen in 2022 wohl drei Mal erhöhen zu wollen. So ein Zinsschritt könnte 0,25 bis 0,50 Prozentpunkte „groß“ sein. Die Zinswende ist also da. In der Eurozone wird es wohl noch dauern. Zu fragil ist die wirtschaftliche Lage in den krisengeplagten südeuropäischen Staaten noch immer. Ende 2023 könnte es dann aber so weit sein.
Steigende Zinsen klingen erstmal gut für uns Anleger:innen. Aber leider ist es nicht so einfach. Denn nur weil die Zinsen an den Kapitalmärkten und damit die Renditen an den Anleihemärkten steigen, heißt das leider nicht, dass auch die Sparzinsen steigen. Das wird voraussichtlich noch sehr lange dauern. Trotzdem könnte uns die restriktivere Geldpolitik der Notenbanken treffen, nämlich dann, wenn wir in Anleihen investiert haben.
Bewegte Zeiten an den Anleihemärkten
An den Rentenmärkten dürfte es 2022 einige Bewegungen geben. Die Renditen langfristiger Staatsanleihen könnten vor dem Hintergrund gedrosselter Anleihekäufe und steigender Leitzinsen nach oben gehen. Aber was heißt das konkret? Die Rendite von Anleihen errechnet sich aus der Kursentwicklung und dem Zinskupon. Fallen die Kurse der Anleihen, was für 2022 erwartet wird, steigen dadurch rein rechnerisch die Renditen. Wer aber bereits Anleihen oder Rentenfonds und -ETFs im Depot hat, würde Kursverluste erleiden. Das gilt nicht nur für Staatsanleihen, sondern auch für Unternehmensanleihen guter Bonität, also für Bonds von guten Schuldnern. Wer neu investiert, profitiert natürlich von höheren Renditen.
Insgesamt eine ziemlich schwierige Gemengelage. Wenn Du in aktiv gemanagte Anleihefonds investiert hast, wird das Fondsmanagement entsprechend reagieren und gegebenenfalls Gewinne mitnehmen oder Geld in andere Anleihen umschichten. Mit Anleihe-ETFs bist Du den möglichen Turbulenzen an den Rentenmärkten ausgesetzt, denn ETFs bilden ihren Referenzindex immer Eins zu Eins nach. Zu heftig sollten die Ausschläge aber nicht sein, denn die Notenbanken bereiten die Kapitalmärkte mit ihrer Kommunikation auf die Zinswende vor. Und zumindest für sehr sichere Anleihen sollte gelten, dass institutionelle Investoren wie Versicherungen oder Pensionskassen sie mit ihrer Nachfrage stützen sollten.
Das Wichtigste in Kürze:
- In den USA steht 2022 die erste Zinserhöhung an. In der Eurozone dauert es bis Ende 2023, erwarten Expert:innen.
- Die Zinswende bedeutet nicht, dass die Anlagezinsen steigen. Sparer:innen leiden weiterhin.
- An den Anleihemärkten könnte die Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik für einige Bewegungen sorgen. Konservativen Anleger:innen drohen Kursverluste.
Jessica Schwarzer ist Autorin für das finanz-heldinnen Magazin und eine der renommiertesten Finanzjournalistinnen Deutschlands. Ihre Leidenschaft für die Börse hat die gebürtige Düsseldorferin zum Beruf gemacht. Die langjährige Chefkorrespondentin und Börsenexpertin des Handelsblatts (2008 bis 2018) arbeitet heute selbstständig als Journalistin und Moderatorin. Sie hat mehrere Bücher über die Psychologie von Anleger:innen und Investmentstrategien geschrieben. Die deutsche Aktienkultur ist ihr eine Herzensangelegenheit, für die sie sich auch mit Vorträgen und Seminaren stark macht. Darüber hinaus schreibt sie eine wöchentliche Kolumne bei onvista.de, einem der meistbesuchten Finanzportale in Deutschland.